Januar 12, 2023
Additive Fertigung Werkstoffe Rapid-Tech Formnext

Forschungsinstitut für Glas/Keramik der HS Koblenz als Entwicklungspartner von AIM3D

Das 3D-Druckverfahren gewinnt zunehmend Bedeutung in den Werkstoffgruppen Glas und Keramik und ergänzt nun konventionelle, formbasierte Gussverfahren oder auch das Fräsen. Seit 2021 nutzt das Forschungsinstitut für Glas/Keramik (FGK) in Höhr-Grenzhausen eine 3D-CEM-Anlage ExAM 255 von AIM3D für Forschungszwecke. Das 3D-Verfahren bietet hohe Zeit- und Kostenvorteile, um keramische Prüfkörper auswerten zu können. Es eröffnet aber auch Materialkombinationen gegenüber den klassischen Fertigungsstrategien. Im Fokus stehen dabei technische Keramik, aber auch medizinische Anwendungen.

Dr. Marcus Emmel, Leiter Kompetenzzentrum FGK*: „Ein CEM-3D-Drucker hat den Charme verschiedene Materialien drucken zu können. Dies bedeutet Kombinationen wie Keramik/Keramik, Keramik/Polymere oder Keramik/Metall. Der 3D-Druck im CEM-Verfahren eröffnet eine Matrix der Möglichkeiten durch materialhybride und verfahrenshybride Lösungen.“ Bild: AIM3D GmbH, Rostock (D)

Beschleunigung der Forschung durch 3D-Rapid Prototyping

Das CEM-Verfahren, als ein Ansatz des 3D-Druckens, ist die Ergänzung des konventionellen CIM-Verfahrens (Keramischer Spritzguss). Wegen des werkzeuglosen Bauteilaufbaus ergeben sich hohe Zeiteinsparungen oder enorme Kostenvorteile. Was im Prototyping bereits überzeugt, ist bei der Prüfkörperherstellung zur Materialerprobung besonders wichtig – neue keramische Werkstoffe können so schneller bewertet werden. Auch neue keramische Granulatrezepturen können rascher entwickelt werden. Die CEM-Technologie macht das FGK aber auch unabhängig von der Industrie, da keine Formen und Kapazitäten für Prüfkörper dort abgerufen werden müssen, sondern durch den 3D-Druck autark wird.

Hybride Bauteile: Keramische Mehrkomponententechnik

Projektingenieur Murat Demirtas: „Der eigentliche Charme dieses CEM-Verfahrens von AIM3D ist die Flexibilität. Der Multimaterialdrucker ExAM 255 erlaubt Kombinationen von Keramik/Keramik, Keramik/Polymere oder Keramik/Metall. Hybride Bauteile erweitern die Bauteileigenschaften als funktionales Design enorm.“ Dies bedeutet konkret die Kombination verschiedener Keramiken in einem Bauteil, aber auch die Kombination von anderen Werkstoffklassen in einem Bauteil, um bestimmte Eigenschaften in einem Bauteil abzubilden. Ebenfalls möglich werden Bauteile, die als volumiger Grundkörper im CIM-Verfahren entstehen, und mit einer kleineren Komponente im CEM-Verfahren bedruckt werden. Interessant ist auch die Kombination von Keramik zur elektrischen Isolation und Metall für die Leitfähigkeit. Dies ermöglicht MID-Ansätze (Multi Integrated Devices). Natürlich können auch die Leistungseigenschaften eines Bauteils erhöht werden. Mögliche Parameter sind variable Korngrößen, bestimmte Oberflächen-Charakteristika, aber auch bestimmte chemische (Medienresistenz), elektrische (Leitfähigkeitsfakor) oder thermische (Temperaturbeständigkeit) Eigenschaften. Der 3D-Druck im CEM-Verfahren eröffnet eine Matrix der Möglichkeiten durch materialhybride und verfahrenshybride Lösungen.

3D-Konstruktion eines keramischen Bauteils mit FEA

Die Konstruktion eines 3D-Bauteils ist bereits Teil der digitalen Prozesskette. Die ursprüngliche Geometrie eines 3D-Bauteils wird durch Iteration mittels Finite Elemente Analyse (FEA) optimiert (Bild 10). Durch Simulation der Belastungszonen innerhalb des Bauteils wird die Optimierung des Bauteils schrittweise vorangetrieben. Neue angepasste Iterationen des 3D-Bauteils ergeben sich auch wegen Schrumpf der Keramik über die thermische Prozessführung. Von zentraler Bedeutung ist die Topologie: So werden Gitterstrukturen möglich, die Gewicht einsparen, dabei aber die Festigkeit gewährleisten. Murat Demirtas: „Die Werkzeuge der Finite Elemente Analyse ermöglichen es ein Bauteildesign bestmöglich auf eine Anwendung hin zu designen. Dabei werden Aspekte der Bionik, Topologie, Materialeinsparungen und Leistungscharakteristika kombiniert.“

Vorteile des 3D-Druckens für Technische Keramik

Das CEM-Verfahren von AIM3D basiert auf der Verwendung konventioneller Granulate oder Pulver mit hohen Preisvorteilen gegenüber Filamenten. Für den Feedstock ergeben sich Preisvorteile bis zum Faktor 10. Zudem werden bionische Strukturen mit unterschiedlichen Dichten möglich. Auch die Reduzierung von Spannungen im Bauteil eröffnen Vorteile gegenüber einem konventionellen CIM-Verfahren. Die Teile können nun leichter sein und zudem Material einsparen. Der Ressourcenverbrauch, verglichen mit dem Fräsen oder Gießen, ist ein klarer Vorteil einer 3D-Druck-Strategie. Durch den 3D-Druck werden aber auch Geometrien möglich, die konventionell nicht realisierbar sind, wie besondere Hinterschnitte oder bionische Konstruktionsansätze.  Ein wesentlicher Vorteil ist zudem die „One-Shot-Technik“: Ein Bauteil wird sukzessive aufgebaut ohne Montageaufwand, auch mit Funktionsintegration. Ein konventionelles Bauteil kann somit im 3D-Druck durch Reengineering konstruktiv und funktional optimiert werden. Die Forschung am FGK ist natürlich breit gefächert: Sie dient auch der Werkstoffforschung, der Topologie-Optimierung mit dem Abbau von Spannungen im Bauteil, aber auch Funktionssteigerung und -integration, sowie das Maßschneidern der Oberflächengüte (Porosität).

Forschung am FGK

Das FGK-Institut betreibt mittels verschiedener Verfahrenstechnologien, darunter auch das CEM-Verfahren, Werkstoffanalysen, aber auch Granulat-Entwicklungen, wie neue „Rezepturen“. Ziel ist es, den Werkstoff Keramik in seiner Leistungsfähigkeit weiter zu entwickeln. Dies wird ergänzt durch die Suche nach neuen Anwendungsbereichen für keramische oder auch hybride 3D-Bauteillösungen. Zu den Tätigkeiten gehören auch werkstoffliche Dienstleistungen im Auftrag der Industrie oder Beratungen entlang der Prozesskette. Das FGK ist damit ein Moderator zwischen Rohstoffherstellern, Anlagenbauern und der verarbeitenden Industrie.

Anwenderbranchen von keramischen Bauteilen

Keramische Bauteile spielen eine große Bedeutung bei medizinischen Implantaten, da hier die Biokompatibilität in Kombination mit Festigkeit genutzt werden kann. Offenporöse Strukturen eignen sich hier besonders gut zur Aufnahme im Gewebe. Selektive Dichten sparen Material oder Gewicht und erzeugen gewünschte E-Module. Kerngebiet ist aber die Technische Keramik. Je nach Anwendung kann eine keramische Lösung folgende Charakteristika aufweisen:  Hitzebeständigkeit bis weit über 1000 °C, elektrische Isolation, hohe Dielektrizitätskonstanten, hohe Abrieb- und Verschleißfestigkeit, Härtegrade, variable Wärmeleitfähigkeit, niedrige Dichte oder auch geringe thermische Ausdehnung, um nur einige Stichworte des vielseitigen Werkstoffes zu nennen. Anwendungsgebiete sind beispielweise Heizelemente, Zündkerzen, Hochspannungselemente, elektronische Schaltungen, Keramikkondensatoren mit hoher Volumenkapazität, Gleitflächen, Düsen zum Laser- und Wasserstrahlschneiden (Schneiddüsen), Gleitlager in Pumpen, Kolben und Zylinder, pulverbeschichtete Metallflächen, Kugellager, Verwendung als Schneidstoff (Schneidkeramik), bei der spanenden Bearbeitung, Beschichtung von Pumpen in der Chemischen Industrie, sowie die genannten Implantate in der Medizintechnik. Daneben spielt die nichttechnische Keramik natürlich eine Rolle in der Gebrauchskeramik (u.a. Porzellan), bei Fliesen oder Sanitärobjekten, allerdings kaum im Bereich des 3D-Drucks aufgrund der Bauteilvolumina bzw. der Losgrößen.


Interview mit Dr. Marcus Emmel*, Leiter Kompetenzzentrum, über die 3D-Keramikforschung am FGK

(*Dr. Emmel ist seit Juli 2022 CTO bei Bosch Advanced Ceramics in Immenstadt im Allgäu)

Redaktion: Die Additive Fertigung zählt heute zu den Säulen Ihres Institutes. Was bedeutet dies für Ihre Arbeit?

Dr. Emmel: In der klassischen Werkstoffforschung und der Analyse waren wir bislang an formgebundene Techniken und Fräsen gebunden. Wir waren oft abhängig von Kapazitäten in der Keramischen Industrie. Mit einer Additiven Fertigungsstrategie am Institut sind wir nun unabhängig bzw. autark. Die hohen Zeit- und Kostenvorteile spielen natürlich auch eine wichtige Rolle, denn sie dynamisieren unsere internen Prozesse enorm. Zudem haben wir es nun mit einer digitalen Prozesskette zu tun.

Redaktion: Was bedeutet dies konkret? Was bedeutet eine digitale Prozesskette?

Dr. Emmel: Ein additives Verfahren erlaubt es uns Prüfkörper sehr schnell verfügbar zu haben. Dies bezieht sich auf Materialforschungen, Materialkombinationen, aber auch neue Geometrien mit bionischen Konstruktionsmerkmalen. Eine digitalen Prozesskette bedeutet: Wir können ein Bauteil scannen, können es im Reengineering konstruktiv optimieren und ein optimiertes Bauteil ausdrucken. Dieses Bauteil kann ressourcenschonender sein, aber auch funktional wertgesteigert. Der digitale Prozess bedeutet auch konstante Reproduzierbarkeit des Bauteilaufbaus. Die Stichworte Bionik und Topologie spielen eine zentrale Rolle, um zukünftig keramische Bauteile durch den 3D-Druck leistungsfähiger zu machen.

Redaktion: Sie setzen nun das CEM-Verfahren von AIM3D ein. Warum?

Dr. Emmel: Ein CEM-3D-Drucker hat den Charme verschiedene Materialien drucken zu können. Dies bedeutet Kombinationen wie Keramik/Keramik, Keramik/Polymere oder Keramik/Metall. Hybride Bauteile erweitern die Bauteileigenschaften als funktionales Design enorm. Dies bedeutet konkret die Kombination verschiedener Keramiken in einem Bauteil, aber auch die Kombination von anderen Werkstoffklassen in einem Bauteil, um bestimmte Eigenschaften in einem Bauteil abzubilden. Ebenfalls möglich werden Bauteile, die als Grundkörper im CIM-Verfahren entstehen, und mit einer anderen Komponente im CEM-Verfahren bedruckt werden. Natürlich gibt es auch die Option einer Mehrfarbentechnik. Der 3D-Druck im CEM-Verfahren ist von hoher Flexibilität gekennzeichnet: Es eröffnet eine Matrix von Charakteristika durch materialhybride und verfahrenshybride Lösungen.

Redaktion: Sie sprechen von einer Entwicklungspartnerschaft mit AIM3D? Was müssen wir uns darunter vorstellen?

Dr. Emmel: Unsere Forschung und Dienstleistungen erfolgen im Auftrag der Industrie und stellen Beratungen entlang der Prozesskette dar. Das FGK ist damit generell ein Moderator zwischen Rohstoffherstellern, Anlagenbauern und der verarbeitenden Industrie. Bei dieser relativ neuen CEM-Technologie gibt es bestimmte Besonderheiten von keramischen Werkstoffen im Bauteilaufbau, die wir noch optimieren können.

Redaktion: An welche Besonderheiten denken Sie dabei?

Dr. Emmel: Dazu zählt zum Beispiel die hohe Abrasion keramischer Werkstoffe. Einige Keramiken können abrasiver als Metalle sein, ganz zu schweigen von hochgefüllten GFK-Polymeren, die weit unter den Abriebgraden einer Keramik liegen können. Das hat Auswirkungen auf die Düsentechnik eines CEM-Extruders beim Feedstock-Eintrag, dessen Düsen durch bestimmte Veredelungen an den Oberflächen besonders gehärtet sein müssen. Die Fortentwicklung der Anlagentechnik, auch spezifisch für Keramik, ist für uns von Bedeutung, um diese noch junge CEM-Anlagentechnik für unsere Partner in der Industrie verfügbar zu machen. Zielsetzung ist eine industrielle Nutzung im Bereich von Kleinst- und Kleinserien.

Redaktion: Wir danken für das Gespräch.


AIM3D finden Sie auf der Rapid-Tech 2023, 09. bis 11. Mai 2023

AIM3D finden Sie auf der Formnext 2023, 07. - 10. Nov. 2023

Quelle: AIM3D GmbH