Dezember 12, 2019
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Outsourcing im Wandel: Vom Zulieferer zum Partner
Während Outsourcing in der Medizintechnikbranche weiterhin im zweistelligen Bereich wächst, entwickelt sich die Beziehung zwischen Zulieferer und OEM in eine neue Richtung. Im Vergleich zur Automobilbranche wurde das Outsourcing ziemlich spät von der Medizintechnikindustrie angenommen. Der Trend dorthin beschleunigt sich jedoch von Jahr zu Jahr ohne Ende in Sicht.
Mittelfristig wird ein solides Wachstum erwartet, aber Veränderungen machen sich bemerkbar. Outsourcing im klassischen Sinne wandelt sich mit den Erwartungen der OEMs. War die Beziehung bisher lediglich auf die Versorgung mit Gütern beschränkt, entwickelt sie sich nun zu einer Partnerschaft. Und dies beeinflusst wie OEMs ihre wichtigsten Lieferanten auswählen.
Zweistellige Wachstumsprognose
Jüngste Geschäftsberichte zeigen die Dimension und Macht des Outsourcing-Markts im Medizintechniksegment. In einer Studie von Grand View Research wurde das Wachstum für 2016 auf $33,2 Mrd. geschätzt und ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 11,5% bis 2015 vorhergesagt.
Laut der Studie machen Geräte der Klasse II, die vom FDA als einfache Geräte mit leicht erhöhtem Risiko gegenüber Produkten der Klasse I bewertet werden, mehr als die Hälfte des Marktanteils aus. Geräte der Klasse II machen so einen hohen Prozentsatz der ausgelagerten Fertigung aus. "Fokus auf Kernkompetenten, Kosteneffizienz und eine beschleunigte Produkteinführung werden erwartungsgemäß die wesentlichen Kriterien für OEMs sein, was zu einer höheren Fremdvergabe von Herstellern solcher Geräte führen wird", sagen die Autoren der Studie.
Die Studie weist auch darauf hin, dass die zunehmend strengere Regulierungsaufsicht, wie zum Beispiel die neue Medizinprodukteverordnung, zu Wachstum im Bereich der regulatorischen Beratung und der Produktentwicklung durch Dritte führen wird. Im Jahr 2016 hat letztere 15% der Marktanteile ausgemacht. Historisch gesehen ist das ein erheblicher Wandel, ist die Medizintechnikindustrie doch üblicherweise sehr wählerisch, wenn es darum geht Außenstehende am Gestaltungs- und Entwicklungsprozess von Produkten teilhaben zu lassen.
Die Auswirkungen der Konsolidierung auf OEMs und die Lieferkette
Die Fusions- und Übernahmeaktivitäten im Medizintechniksektor waren im letzten Jahr hoch. Das Jahr 2017 endete spektakulär mit der Übernahme von Bard durch BD für $24 Mrd. und nach allgemeiner Ansicht wird der Trend sich dieses Jahr fortsetzen. Auftragshersteller halten mit diesem Trend mit und erweitern ihren Handlungsspielraum und, in manchen Fällen, vergrößern ihren Einflussbereich in der Lieferkette nachweisbar, wie wir bei der Übernahme von Philips-Medisize durch das global-vernetzte Unternehmen Molex sehen können. Die Entwicklung ist begrüßenswert für OEMs von Medizingeräten, die ihre Zulieferkette verschlanken möchten.
"Viele OEMs sind aktuell damit beschäftigt, Ihre durch Übernahmen oder die sogenannte schleichende Ausweitung der oi8umfangreich gewordenen Zulieferer-Datenbanken abzuspecken", bemerkt Mark Bonifacio, Präsident von Bonifacio Consulting Services aus Boston, Massachusetts. "In den achtziger und neunziger Jahren wurden Lieferanten ohne jegliches Konzept beauftragt. Damals gab es noch keine Konzepte für Lieferketten, so wie sie OEMs heute anwenden."
Durch die Konsolidierung der Lieferkette "haben OEMs weniger Ansprechpartner, können Ihre Ausgaben effizienter einsetzen, und ihr Lieferkettenmanagement, welches über die Jahre stark gewachsen ist, verkleinern", fügt Bonifacio hinzu. "OEMs, die mit einem Zulieferer in verschiedenen geografischen Gebieten zusammenarbeiten, können wiederum zu einem bedeutenden Geschäftszweig des Auftragsfertigers werden und so eine stärkere Position einnehmen", ergänzt er weiter. Es sollte jedoch ein gesunder Mittelweg angestrebt werden: Man will kein unbedeutender Kunde sein, es kann wiederum aber auch riskant sein 70% des Auftragsvolumens eines Auftragsfertigers auszumachen."
Das Beratungsunternehmen von Bonifacio arbeitet mit global agierenden Medizintechnik-OEMs und Auftragsfertigern zusammen und hilft diesen, Ihr Wachstum organisch mittels Fusionen und Übernahmen voranzutreiben. Zu Beginn seiner Karriere arbeitete Bonifacio bei verschiedenen Medizintechnik-OEMs und gründete dann APEC, ein Unternehmen für Auftragsfertigung von Medizingeräten. Im Jahr 2007 wurde APEC von Freudenberg Medical aufgekauft. Bald darauf gründete er Bonifacio Consulting Services.
OEMs stutzen ihre Lieferketten und verlangen gleichzeitig mehr von ihren Auftragsfertigern. In vielen Fällen sollen Zulieferer eine strategische Funktion bei der Zusammenarbeit übernehmen. Der Hauptlieferant kann durchaus auch dafür verantwortlich sein, weitere Zulieferer im Auftrag des OEM-"Partners" zu verwalten.
"Der Begriff Partnerschaft hat für viele Leute viele verschiedene Bedeutungen angenommen", sagt Bonifacio, stimmt aber im Großen und Ganzen zu, dass größere OEMs mit ihren größten Zulieferern mehr und mehr strategische Partnerschaften eingehen. Die Partnerschaften beinhalten oft Vereinbarungen zur Kostenteilung, langfristigere Verträge und Vereinbarungen zur Qualität und Lieferung. Diese können sowohl Klauseln zur Preisanpassung für Material und Leistungen beinhalten, als auch Vorgaben zu Nachlässen bei möglichem Wachstum und anderen Mechanismen, die die Partnerschaft fördern und das Geschäftsvolumen erhöhen", sagt Bonifacio.

Smart Sourcing
In dieser Unternehmenslandschaft müssen Medizintechnik-OEMs auf der Suche nach Zulieferern einige Prioritäten abwägen. Sie müssen sich zum Beispiel entscheiden, ob sie mit einem Komplettanbieter oder einem hochspezialisierten Zulieferer zusammenarbeiten wollen, ob die Produktion ausgelagert werden soll oder wieviel des Lieferkettenmanagements unter die Aufsicht der Hauptzulieferer gestellt werden soll.
Obwohl die oben beschriebene Konsolidierung dafür zu sprechen scheint, kostenintensive Komplettanbieter vorzuziehen, kann gebündelte Fachkompetenz ein ausschlaggebendes Entscheidungskriterium für ein komplexes Projekt sein. Auftragsfertiger, die versuchen, beides zu sein, scheitern meist.
Um diese Entscheidung sinnvoll zu treffen, muss man sein Produkt und die Abläufe und Fertigkeiten, die für den Erfolg eines Unternehmens entscheidend sind, laut Bonifacio, gut kennen. "Viele Auftragsfertiger haben Lieferketten als Kernkompetenz und als Wettbewerbsvorteil entwickelt. In diesem Fall ist die Unterscheidung weniger wichtig. "
Dennoch beschere der Trend zur Konsolidierung Komplettanbietern einen klaren Vorteil, vor allem in Kombination mit geografischer Reichweite, meint Bonifacio. OEMs finden Gefallen an Lokalisierungsstrategien. Sie fertigen ihre Produkte dort, wo diese auch vermarkt werden sollen, zum Beispiel in China für China. Ein Zulieferer der global präsent ist und als eine zentrale Anlaufstelle fungiert, hält viele Trümpfe in der Hand, die OEMs begehren.
Bei der Auswahl eines Zulieferers ist der Preis immer ein entscheidender Faktor, bedeutet aber nicht, dass das Unternehmen mit dem niedrigsten Angebot immer den Zuschlag erhalten sollte, sagt Bonifacio. "Wir empfehlen immer den gesamten Anlieferungspreis zu berücksichtigen, einschließlich einmaliger Ingenieursleistungen, Fracht und Logistik, Bestand und Zahlungsbedingungen zusätzlich zu den Produktkosten. So erhalten Sie den besten Überblick über die tatsächlichen Kosten", rät Bonifacio.
"Qualitätsmanagementsysteme sind selbstverständlich eine Voraussetzung. Eine Handvoll von Zulieferern hat mir in der Vergangenheit erzählt, dass sie eine ISO-Zertifizierung bewusst nicht vornehmen lassen, um Kosten gering zu halten und flexibel bleiben zu können. Bei einigen wenigen Anwendungen mag das sinnvoll sein, in der heutigen Medizintechnik-Lieferkette scheint diese Geschäftsmodel mehr als fragwürdig. ISO-Zertifizierung und gute Herstellungspraktiken sind ein Muss in der medizinischen Fertigung", formuliert Bonifacio unmissverständlich. Das gewinnt besonders bei den Hauptlieferanten an Bedeutung.
Die Medizinprodukteverordnung schreibt vor, dass sowohl angekündigte, als auch unangekündigte Kontrollen der Räumlichkeiten der Wirtschaftsteilnehmer, deren Zulieferern sowie deren Unterlieferanten, und, wenn nötig auch die Gebäude der Fachanwender, durchgeführt werden können. Darüber hinaus fordert der ISO-Standard 13485:2016, der am 01. März 2019 in Kraft treten wird, von Medizintechnikunternehmen, die ihre Medizingeräte in Europa vermarkten, dass diese ausschließlich Komponenten verwenden, die von Herstellern gefertigt wurden, die ebenfalls nach der überarbeiteten Norm zertifiziert sind. In Bezug auf Qualitätsmanagement und Sicherheit haben Medtech-OEMs allen Grund, sicherzustellen, dass es keine schwachen Glieder in ihrer Lieferkette gibt.
Während Outsourcing in der medizinischen Fertigung eine mehr und mehr abgestufte Struktur annimmt und viele Komponenten von Zulieferern aus der zweiten Stufe bezogen werden, ist es unbedingt erforderlich, dass die Zulieferer der ersten Stufe gute Praktiken in ihren Lieferketten, Auditprogrammen und Lieferantenbeurteilungen und so weiter pflegen, fügt Bonifacio hinzu. In der Automobilbranche ist dies schon seit Jahrzehnten üblich.
Während OEMs mit den hohen regulatorischen Anforderungen und dem Kostendruck von Kunden ringen, suchen sie nach Partnern in der Lieferkette, die über die Fähigkeiten, Möglichkeiten und Bereitschaft zur Innovation verfügen, die herausfordernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu meistern. Machen wir uns nichts vor: Im Outsourcing-Bereich steht ein Paradigmenwechsel an, aber die Branche wächst auch im zweistelligen Bereich. Sofern sich Auftragsfertiger und Medizintechnik-OEMs bezüglich des Smart Sourcings einig sind, bieten sich für beide jede Menge Geschäftsmöglichkeiten.
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