Dezember 11, 2018
ImplantFiles Medizinprodukteverordnung Benannte Stellen

Implant Files - Expertin nimmt Stellung

Ein weltweit agierendes Recherchenetzwerk, in Deutschland bestehend aus den Fernsehsendern NDR und WDR und der Süddeutschen Zeitung, hat unter dem Schlagwort "Implant Files" zu dem Thema Sicherheit und Zulassung von Medizinprodukten recherchiert und macht der Medizintechnikindustrie schwere Vorwürfe. MTME wollte nun ganz genau wissen was dahinter steckt und hat mit Frau Dr. Gabriele Heitner, Expertin im regulatorischen Bereich für Medizinprodukte und Inhaberin der HeiMed®, gesprochen.

                                                                                                        Bild: HeiMed®

MTME:  Wie fanden Sie die ARD-Reportage "Außer Kontrolle – Gefährliches Geschäft mit der Gesundheit"?

Frau Dr. Gabriele Heitner:  Getrieben von der Sensationslust eine der seriösesten und weltweit am strengsten reguliertesten Branchen, die Medizintechnik, an den Pranger zu stellen, verliert der sogenannte investigative Journalismus für mich hier stark sein Gesicht. Geprägt von schlechten und oberflächlichen Recherchen lässt die Reportage zudem jeglichen Sachverstand und Fachwissen missen.


Der Hauptvorwurf des Recherchenetzwerks lautet, die Behörden würden den Markt nicht systematisch überwachen. Was denken Sie?

Nun, in der Praxis steht die lokale Behörde durchaus schon mal angekündigt oder unangekündigt vor der Tür. Ich habe es auch schon erlebt, dass die Behörden Hersteller anschreiben, wenn möglicherweise potenzielle Probleme mit vergleichbaren Medizinprodukten festgestellt wurden. Für mich ist hier schon eine Systematik erkennbar. Unter der Medical Device Regulation wird dies noch intensiviert. Diese dokumentiert die Aufgaben der Überwachungsbehörden explizit. Die Behörden sind offiziell europaweit auch schon benannt.


Im Rahmen der Debatte um die #ImplantFiles wird immer wieder behauptet, bei Medizintechnikprodukten würden keine aufwendigen klinischen Studien wie bei Arzneimitteln durchgeführt, um deren Wirksamkeit nachzuweisen.

Das ist falsch. Leider ging diese Behauptung auch in den vergangenen Jahren schon mehrfach durch die Presse. Medizinprodukte sind völlig anders geartet als Arzneimittel. Außerdem finden wir hier eine enorme Produktvielfalt: Vom Pflaster über das Hüftimplantat bis hin zum Tomographiegerät. Arzneimittel sind im Vergleich dazu ähnlicher strukturiert: Eine Kapsel, die einen Wirkstoff oder eine Wirkstoffkombination enthält. Seit dem Contergan Fall in den 60-er Jahren hat sich hier in den vergangenen Jahrzehnten eine Prüfroutine herauskristallisiert, die sich für Arzneimittel bewährt hat. Diese können wir aber nicht bedingungslos auf Medizinprodukte übertragen.

Schauen wir uns ein Hüftimplantat an: Hier kann ich keine Phase I testen, sprich Tests an einer gesunden Gruppe von Probanden durchführen. Meist sind das Studenten, die sich hier was fürs Studium hinzuverdienen. Keiner käme auf eine solche Idee. Auch eine Ethikkommission würde einem solchen Studienvorhaben nicht zustimmen.

Auch bei einem Tomographiegerät würden Sie hier nicht unbedingt ein positives Votum der Ethikkommission für eine solche Phase I bekommen. Hier ist schließlich Röntgenstrahlung im Spiel. Stattdessen verwendet man hier standardisierte Testsamples. Und daran sieht man schon, dass man bei Medizinprodukten eine Menge Prüfungen im Vorfeld macht. Das sind Prüfungen mechanischer Art wie Zugfestigkeits-, Torsionsmessungen, Abrieb, oder biologische Prüfungen für die Biokompatibilität. Das geht hin bis zu Verpackungsprüfungen, in denen die Verpackungen traktiert werden, um zu prüfen, ob die Verpackung hält, was zur Erhaltung der Sterilität der Produkte in der Verpackung wichtig ist. Erst, wenn all diese Prüfungen erfolgreich abgeschlossen sind, und man auch via Risikomanagement keine weiteren potenziellen Risiken identifiziert hat, die im Vorfeld abgeklärt werden können, beginnt man die klinische Studie zu designen.

Aufgrund der unterschiedlichen Art von Medizinprodukten ist dies ein sehr individueller Prozess. Wichtig sind z.B. Hochrechnungen zur Ermittlung der Probandenzahl, die notwendig ist, eine statistisch signifikante Aussage zu erhalten. Beliebig hohe Probandenzahlen dürfen wir gar nicht in eine Studie einschließen, auch dafür erteilt eine Ethikkommission kein positives Votum.

Betonen möchte ich in dem Zusammenhang auch, dass klinische Studien grundsätzlich die Prüfung auf Sicherheit und Wirksamkeit beinhalten. Eine Falschaussage der Reportage war z.B. auch, dass Medizinprodukte nicht auf ihre Sicherheit hin geprüft würden.


Ein weiterer Vorwurf lautet, dass Probleme verheimlicht werden würden.

Wie soll das funktionieren? Medizinprodukte tragen eine eindeutige Kennzeichnung, die ihre Rückverfolgung gewährleisten. Wenn irgendwo irgendetwas vorkommt, ist der Hersteller im Nu identifiziert.


Welche Warnsysteme gibt es derzeit für den Fall, dass Anwendungsprobleme oder Komplikationen bei einem Produkt auftreten?

Hingegen der Darstellungen im Report ist die Meldepflicht eines Vorkommnisses mit dem Medizinproduktegesetz, der Sicherheitsplanverordnung und der Medizinprodukte-Betreiberverordnung gesetzlich geregelt. Damit haben wir hier in Deutschland ein redundantes Meldesystem. D.h. im Falle eines Vorkommnisses muss sowohl der Arzt bzw. die Klinik wie auch der Hersteller das Vorkommnis an die Behörden melden. Das erhöht die Chance von Vorkommnismeldungen, aber auch die, „schwarze Schafe“ zu entdecken, nämlich jene, die nicht melden.

Die Sicherheitsplanverordnung wurde 2016 dahingehend geändert, dass ab 2017 auch sogenannte Mängel der Gebrauchstauglichkeit zu melden sind. Somit ist es nicht verwunderlich, dass die Anzahl der gemeldeten Vorkommnisse 2017 gestiegen ist. Vor dem Hintergrund kann man also nicht notwendigerweise schlussfolgern, dass Medizinprodukte schlechter geworden sind, es wurde mehr gemeldet.


Das Recherchenetzwerk wirft den Benannten Stellen vor, von der Industrie abhängig zu sein und fordert eine staatliche Zulassungsstelle. Was denken Sie darüber?

Auch hier spielt die enorme Produktvielfalt in der Medizintechnikindustrie wieder eine Rolle. Die unterschiedlichen Benannten Stellen, die wir hier in Deutschland haben, sind jeweils auf spezielle Produkte ausgerichtet, sprich bündeln die entsprechenden Fachkompetenzen in ihrem Hause. Diese Kompetenzen werden von unserer nationalen Akkreditierungsstelle der Bundesrepublik Deutschland, kurz DAkkS akkreditiert und überwacht. Die DAkkS selbst untersteht wiederum der direkten Aufsicht des Bundes. An der Struktur sehen wir doch, dass wir in der Zulassung von Medizinprodukten der staatlich gewünschten Kontrolle bereits längst unterliegen. DAkkS und die Aufsicht des Bundes werden in den Diskussionen nur leider meist vergessen.

Meist wird auch vergessen zu erwähnen, dass auch die Benannten Stellen im Rahmen der Überwachung durch die DAkkS einem jährlichen Audit unterliegen. Es kann sich also keine Benannte Stelle leisten, „eine Akte mal ebenso durchzuwinken“, man riskiert damit die Akkreditierung.

Falsch dargestellt in der Reportage war auch, dass die Industrie die Benannte Stelle einfach wechselt, wenn sie mit dieser angeblich nicht zufrieden ist. Bei einer solchen Aktion kann man nur viel Spaß wünschen und einen langen Atem. Beim Wechsel müssen Sie den Grund angeben. Wenn dieser in einer nicht akzeptieren Akte liegt, ist man besser bedient, diese direkt in Ordnung zu bringen. Bei einer anderen Benannten Stelle werden Sie damit auch nicht weiterkommen. Im Zuge der Umstellung auf die MDR sind die Benannten Stellen zurzeit sehr stark ausgelastet. Das macht es schwierig überhaupt eine neue Benannte Stelle zu finden.


Ist es als Hersteller möglich die Benannte Stelle zu wechseln? Was muss bei einem Wechsel beachtet werden?

Ja, grundsätzlich kann schon die Benannte Stelle gewechselt werden. Beim Wechsel sollte man beachten, dass die neue Benannte Stelle für die Zertifizierung der Produkte akkreditiert ist. Aktuell in der Übergangsfrist zur MDR sollte man darüber hinaus beachten, dass man eine ganze Menge Zeit zum Wechsel der Benannten Stelle mitbringen muss, vorausgesetzt, die Benannte Stelle nimmt augenblicklich überhaupt noch neue Hersteller an. In der Praxis ist ein Wechsel eher selten.


Gäbe es mit einer staatlichen Zulassungsstelle dennoch Vorteile für Patienten? Würde eine solche wirklich alle Probleme lösen und Produkte sicherer machen?

Gerade bei der Vielfalt von Medizinprodukten finde ich das System der Benannten Stellen, die ja ihre jeweilige Spezialisierung mitbringen, sehr gut. Ebenfalls sehr gut finde ich das Hintereinanderschalten von verschiedenen Kontrollorgangen. Den Aspekt des menschlichen Versagens werden wir nie ausschließen können. Durch die verschiedenen Kontrollorgane haben wir aber ein Vielfachaugenprinzip von Divisionen mit unterschiedlichen Fachausrichtungen, welches das Risiko stark minimiert. Unter der Medical Device Regulation werden sich die Benannten Stellen im Bereich der Hochrisikoprodukte, sprich Implantate und/oder Klasse III Produkte zudem gegenseitig kontrollieren. D.h. hier schalten wir eine weitere Kontrollebene hinzu.

Wie uns ein jüngster Fall im Arzneimittelbereich, Verunreinigungen in einigen Präparaten des Blutdrucksenkers Valsartan zeigt, sind wir auch mit dem Prinzip der staatlich geführten Prüfstellen nicht davor gefeit, dass immer alles absolut sicher ist.

Wichtig ist, dass falls eine potenzielle Gefährdung für unsere Bevölkerung erkannt wird, unsere Systeme geeignet sind, schnell zu reagieren, um größeren Schaden abzuwenden. Und dass es funktioniert, wurde in der Vergangenheit in verschiedenen Bereichen mehrfach beweisen, sei es im Bereich der Medizinprodukte, Arzneimittel, oder erinnern wir uns an das Problem des EHEC Erregers, welches wir vor einigen Jahren hatten.


In den USA gibt es eine staatlich geführte Zulassungsstelle. Gibt es dort weniger Fälle, bei denen Probleme mit Medizintechnikprodukten auftreten?

Vielfach sind in Europa und den USA die gleichen Medizinprodukte der gleichen Hersteller auf dem Markt. Probleme mit Produkten werden hier wie dort gemeldet. Für mich ist das ein gutes Beispiel dafür, dass Probleme mit Medizinprodukten primär nicht davon abhängen, ob die Zertifizierungsstelle unmittelbar staatlich und zentral oder dezentral organisiert ist wie hier in Deutschland. Wichtiger ist ein gut funktionierendes System und bewährt haben sich bis dato beide.


Ist es in Ländern außerhalb der EU einfacher, Medizinprodukte auf den Markt zu bringen?

In den letzten 10 Jahren habe ich festgestellt, dass die Anforderungen weltweit enorm gestiegen sind. Man hat den Eindruck, die Anforderungen gleichen sich einander an, jedoch sind länderspezifische Eigenheiten zu beachten. Neues Stichwort ist hier MDSAP.


Informationen zu HeiMed® finden Sie im MTME Zuliefereverzeichnis.


Redakteurin. Sandra Heeg